Brief von Bundestagspräsident Thierse

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Präsident des Deutschen Bundestages, Herr Wolfgang Thierse, hat mich gebeten, Ihnen für Ihr Schreiben vom 17. September dieses Jahres zu danken. Wegen der vielen Briefe an Herrn Thierse ist es mir leider erst heute möglich, Ihnen zu antworten.

Bundestagspräsident Thierse hat sich über Ihre freundlichen Worte zur Gründung des „Katholischen Klub der Bundestagsabgeordneten" sehr gefreut. Als gläubiger Katholik ist Herr Thierse davon überzeugt, dass christliche Werte auch in einer modernen, säkularen Gesellschaft nicht überholt sind, sondern wichtige Orientierung geben können. Er ist jedoch der Auffassung, dass Politik andere Aufgaben hat, als christliche Überzeugungen direkt umzusetzen. Das Parlament soll konkrete Probleme lösen. Um so wichtiger ist es für Herrn Thierse zu wissen, dass unsere Kultur christlich geprägt ist. Die wichtigste Voraussetzung für ein lebendiges Christentum ist das Wirken durch das persönliche Beispiel. So ist für Herrn Thierse das christliche Gebot der Nächstenliebe Verpflichtung, sich in seinem politischen Engagement für Solidarität und Gerechtigkeit einzusetzen.

Der Schwangerschaftsabbruch ist durch die Neuregelung des § 218 des Strafgesetzbuchs nicht straflos geworden. Ganz im Gegenteil ist er weiterhin rechtswidrig. Nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen, die das Gesetz vorgibt, entfällt die Rechtswidrigkeit. Durch die seit dem l. Oktober 1995 geltende Fristenlösung mit Beratungspflicht wurde eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Lösung gefunden. Sie orientiert sich im wesentlichen an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 28. Mai 1993.

Das Grundgesetz verpflichtet den Staat in Art. l, 2 Abs. 2 Grundgesetz, menschliches Leben, auch das ungeborene, zu schützen. Auch ungeborenes Leben besitzt Menschenwürde. Dieses Lebensrecht des Kindes besteht auch gegenüber seiner Mutter. Grundsätzlich trifft die Mutter eine Rechtspflicht, das Kind auszutragen.

Mit diesem Recht des Kindes auf Leben kollidiert aber der Anspruch der Schwangeren auf Schutz und Achtung ihrer Menschenwürde. Diese Grundrechtspositionen der Frau führen dazu, dass es in Ausnahmefällen zulässig ist, der Schwangeren die Rechtspflicht zum Austragen nicht aufzuerlegen.

Nach langem Ringen über eine Neufassung des Abtreibungsrechts im Deutschen Bundestag ist am 29. Juni 1995 ein Kompromiss gefunden worden. Die heute geltende Fristenlösung mit Beratungspflicht hat sich für ein Schutzkonzept des werdenden Lebens entschieden, das den Schwerpunkt auf die Beratung der schwangeren Frau legt, um sie für eine Austragung des Kindes zu gewinnen.

Letztlich kann einer Frau die Entscheidung aber nicht abgenommen werden, ob sie ein Kind zur Welt bringt oder nicht. Von wem mag beurteilt werden, in welcher schwerwiegenden persönlichen Konfliktsituation, Notlage und Verzweiflung sich die Schwangere befindet. Sicherlich fällt keine Frau diese Entscheidung leichtfertig. Eine Kriminalisierung der Frauen, die sich aus persönlichen Nöten und Ängsten für einen Abbruch der Schwangerschaft entscheiden, dient dem werdenden Leben in keinster Weise.

Donum vitae handelt nicht im Namen der katholischen Kirche. Im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen bieten Frauen und Männer ein Beratungsangebot, das sich an katholischen Grundwerten orientiert. Die Beratung wird zum Schutz des menschlichen Lebens durchgeführt, um das Recht jedes Kindes, geboren zu werden, durchzusetzen. Der Frau werden Perspektiven für das Leben mit dem Kind aufgezeigt. Darüber hinaus wird sie über Stellen informiert, von denen sie Hilfe bekommt. Das Ziel der Beratung durch Donum vitae ist es nicht, nur den Beratungsschein auszustellen. Herr Thierse ist selbst Mitglied von Donum vitae und unterstützt die Ziele dieses Vereins nachdrücklich.

Im Übrigen ist Donum vitae ein Verein nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Der Bundestagspräsident hat keine Kompetenz, einen bürgerlich-rechtlichen Verein zu verbieten. Ein solches Verbot richtet sich alleine nach dem BGB.

Zu Ihrer Information habe ich die Rede des Bundestagspräsidenten anlässlich des 27. Katholikentages in Hamburg beigefügt.

Bundestagspräsident Thierse bedankt sich für Ihr Interesse und Ihren Einsatz. Er lässt Sie herzlich grüßen und wünscht Ihnen für die Zukunft alles Gute.

Mit freundlichen Grüßen

(i.A.) Monika Brombach

dazu:
17.09.2000 Brief an ZdK-Mitglied Bundestagspräsident Wolfgang Thierse.

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Last update: 15. März 2002 14:09